Tiergeschichten


Das listige Ziegenböckchen
Der Krieg zwischen den Katzen und den Mäusen
Die Hofmusikanten
Der König der Tiere

 

 

 

 

Das listige Ziegenböckchen

Es war in der ägyptischen Wüste, nicht weit vom Ufer des Nils. Dort lebte einmal eine Herde wilder Ziegen. Sie streiften durch die Gegend, und wenn sie Durst hatten, kamen sie zum Fluss herunter und tranken. Eines Tages führten die Eltern ihre Jungen aus und zeigten ihnen, wo sie Gräser finden konnten zur Nahrung. Ein Junges aber war neugierig und konnte nicht warten, bis die Eltern mit dem Zeigen fertig waren. Es machte sich selbständig und lief davon.
Ganz allein spazierte das Ziegenböckchen in der Wüste umher und hielt Ausschau. Da sah es plötzlich ein großes Tier auf sich zukommen und machte halt. Das große Tier war aber eine Hyäne. Sie trug auf dem Rücken einen langen Futtersack, in den sie Futter für ihre Jungen sammelte. Als sie das Ziegenböckchen sah, freute sie sich, denn sie wollte es ihren Kindern zum Fressen mitbringen. Die Hyäne sprach: "Was läufst du hier so allein in der Wüste herum, du wirst umkommen. Wenn der Jäger dich trifft, schießt er dir einen Pfeil ins Herz. Komm, ich stecke dich in meinen Sack und trage dich nach Hause.."
Nun fürchtete sich das Zicklein sehr und sprach: "Liebe Dame, gewähre mir zuvor eine Bitte. ich tanze so gern und ich sehe, das du eine Flöte bei dir hast. Sei doch so gut und spiele zu einem Tänzchen auf, ehe ich sterben muss. Wenn ich vom Tanzen müde bin, will ich gern mit dir gehen."
Die Hyäne ging auf den Wunsch des Ziegenböckchens ein und blies auf ihrer langen Doppelflöte eine lustige Weise. Das Böcklein sprang im Takt und rief der Hyäne laut zu: "Lauter, immer lauter, ich höre dich nicht, wenn ich so hüpfe." Die Hyäne blies aus Leibeskräften und flötete, so laut sie nur konnte.
Das hörten die Eltern des Zickleins, die es schon lange gesucht hatten. Sie rannten in die Richtung des Tones und sahen bald, in welch schrecklicher Not ihr Kind war.
Die Hörner nach vorne gestreckt, rasten sie vereint auf die Hyäne zu, um sie anzugreifen.
Das böse Tier aber bekam Angst, ließ die Flöte fallen und machte sich aus dem Staube.
Das Zicklein sank unter Tränen in die Arme seiner Mutter und gelobte voll Reue, das es sich nie mehr ohne Erlaubnis von ihr entfernen wollte.

 

Der Krieg zwischen den Katzen und den Mäusen

Es war einmal eine wunderschöne Maus. Die lebte in Ägypten. Sie hatte ein samtenes Fell und einen langen Schwanz. Ihre Schnurrhaare standen breit von der Schnauze ab, und die Augen glänzten rund und schwarz. Die junge Maus wurde von ihrer Familie zärtlich geliebt, und das ganze Land verehrte sie. Ihr Ruf drang bis zum König der Mäuse vor, und der hieß Pharao. 
Der König ließ die Maus zu sich rufen und erkor sie sogleich zur Braut für seinen ältesten Sohn. So wurde die schöne Maus Kronprinzessin, und die beiden sollten bald Hochzeit miteinander halten. Das machte die kleine Maus ganz stolz, und diese spazierte sorglos im Land umher, als könne ihr nun niemand mehr einen Schaden zufügen. Aber dicht bei ihrer Höhle wohnte eine Katze. Diese Katze war rot und ein guter Jäger. Sie strich weit im Lande umher und suchte überall nach Leckerbissen. Schon lange hatte sie ein Auge auf die wunderschöne Maus geworfen und war ihr nachgeschlichen. 
Oft hatte sie Stunden vor ihrem Loch gesessen und gehofft, das Mäuslein beim Eingehen oder beim Ausgehen zu erwischen. Das ging viele Wochen so, aber vergebens. Denn die kleine Maus war bisher immer sehr achtsam gewesen und von Natur aus schlau. Nun aber, da sie so dreist geworden, nun ereignete sich das Unglück: Die rote Katze ertappte das Mäuslein und fraß es auf. Das gab ein Wehgeschrei unter dem ganzen Mäusevolk, und der Kronprinz jammerte sehr. 
Doch Pharao wurde zornig und beschloss, die Untat der roten Katze zu rächen. Er schickte seine Boten aus und ließ alle wehrhaften Mäuse um sich versammeln, bewaffnete sie mit Pfeil und Bogen und rüstete sich selbst zum Kampf. Er bestieg einen glänzenden Wagen und spannte seine treuen Hunde vor. Die Köcher im Wagenkasten steckte er ganz voll mit Pfeilen. Das Heer der Mäuse war ohne Zahl, und es brannte darauf, alle Katzen zu vernichten. Die Mäuse rückten vor, und weil sie so rasch angetreten waren, hatten die Katzen nichts von deren Mobilmachung erfahren. Eine jagte einsam in ihrem Revier und dachte an die Mäuse nicht anders als mit der üblichen Geringschätzung. Da stürmte das Mäuseheer übers Feld und erschoss eine Katze nach der anderen ohne großen Kampf. Hui, wie da die Mannen fielen.
Die Katzen merkten bald, das sie einzeln zu schwach waren, um sich gegen die Mäusesoldaten zu verteidigen. So flüchteten sie in ihre Burg und suchten darin Schutz.
Doch die Mäuse sprengten ihnen nach, Pharao mitten unter ihnen. Sie trieben die Katzen vor sich her, und schon hatten sie die Burg erreicht. Da wimmerten die Katzen in der Burg, denn sie sahen schon ihr letztes Stündlein kommen. Schon hatten die Mäuse ihre Sturmleiter angelehnt, und eine Maus begann damit, die Mauer aufzubrechen. Den Katzen blieb nichts anderes übrig, sie stiegen mit kläglichen Mienen auf das Dach der Burg, erhoben ihre Arme zum Zeichen der Unterwerfung und flehten um Gnade.
Mäusepharao erbarmte sich und schenkte den Katzen ihr Leben. Er nahm sie aber gefangen und zog sie im Tross des Mäuseheers mit sich fort.
Nun mussten die Gefangenen im Dienst ihrer Sieger alle Arbeiten verrichten. Sie besorgten für die Mäuse das Mahl, sie setzten ihnen die Speisen vor, wuschen ihnen die Füße und kämmten ihr Haar. Den Wein reichten sie den Mäusen in einem Becher oder ließen sie mit einem Saugrohr aus dem Krug trinken.
Unter die Füße der Maus stellten sie einen Schemel, damit sie bequemer sitzen konnte, und auf ihren Stuhl mit Entenköpfen an den Beinen legten sie ein Fell.
Die Mäusedamen zogen feine Gewänder an und trugen manchmal sogar eine Perücke auf dem Kopf. Wenn eine Katzenzofe ihrer Herrin das Haar flocht, steckte sie die Locken der Perücke mit einem Pfriem hinters Ohr.
Kam ein Mäusejunges auf die Welt, so dienten die Katzen als Amme. Sie trugen das Mäusekind in einem Tuch vor der Brust, brachten es zu seiner Mutter und wiegten es, wenn es weinte.
Hatte eine Maus Geburtstag, so banden ihr die Katzen eine Schleife um den Hals, brachten ihr Blumen und beglückwünschten sie.
Das ging so eine schöne Zeit und die Mäuse hatten es sehr gut. Aber die rote Katze, die das wunderschöne Mädchen gefressen hatte, war noch am Leben und sann heimlich auf Rache. Während die Mäuse es sich wohl sein ließen und ihre Herrschaft über die Katzen genossen, sammelte die Rote ganz unbemerkt ein tüchtiges Heer und machte es gegen die Mäuse scharf.
Eines Tages nun überfiel das Katzenheer die Mäuse aus einem Hinterhalt und zerbiss ihnen das Genick. Die Katzen schlugen ihre Krallen in die wehrlosen Tierlein, und ehe diese zu Pfeil und Bogen greifen konnten, hatten sie ein großes Gemetzel unter dem Mäusevolk angerichtet. Die Katzen, die bei den Mäusen gefangen waren, wurden befreit und kämpften wütend mit, glücklich darüber, das sie nicht mehr dienen mussten.
Die Katzen rasten übers Feld von einem Mäusedorf zum andern, und schon schien es, als ob kein einziges Mäuslein mehr am Leben bleiben sollte.
Da schickten die Mäuse eine Abordnung zu der roten Katze, mit Fahne, einem Beutel Gold, mit einem Friedensbrot und einem Friedenstrunk. Die drei Mäuse näherten sich der wild fauchenden roten Katze mit bangem Herzen, denn sie fürchteten um ihr Leben. Aber die Rote biss sich auf die Zähne und verschonte sie.
Die Rote nahm das Friedensangebot der Mäuse an. Sie entließ die drei Abgeordneten, ohne ihnen ein Leid zu tun. Aber die Katzen konnten den Mäusen nie mehr verzeihen, das sie sie gedemütigt hatten. So beendeten sie zwar den offenen Krieg, aber im Herzen behielten sie gegen die Mäuse eine Feindschaft.
Wo immer eine Katze einer Maus begegnet, lauert sie ihr auf und bringt sie um. Das geschieht so bis auf den heutigen Tag. Die Mäuslein aber bekommen viele Kinder und bleiben doch ein großes Volk.

 

Der König der Tiere

Einmal hatten alle Tiere in Ägypten miteinander Krieg. Die Hunde rissen die Hyänen, der Geier holte die Gazelle, die Füchse brachten die Gänse um. Der Löwe fraß das Kälbchen vor den Augen seiner Mutter, das Nilpferd verschlang das Krokodil. Jedes Tier fürchtete sich vor dem anderen und hattekeine Ruhe bei Tag und bei Nacht.

Da kamen sie überein, daß sie ein Reich gründen wollten mit einem König an der Spitze, und der soltle Frieden machen. Zum König wollten sie den Besten unter sich wählen. Die einen meinten, der Beste sei der Klügste, die andere meinten, der Beste sei der Stärkste. Sie konnten sich nicht einigen und hätten beinahe ihren Waffenstillstand schon wieder gebrochen.

Da brüllte der Löwe über die Menge der Streitenden hinweg: „Laßt uns miteinander Brett spielen. Wer über alle siegt, der soll König werden.“ Und so taten sie es.

Zuletzt spielten der Löwe und der Steinbock. Beide spielten gleich gut. Der Steinbock hatte die schwarzen Steine, der Löwe die weißen. Jeder hatte noch einen einzigen Zug, und es schien, als ob das Spiel unentschieden ausgehen sollte. Schon hielten sie die letzten Steine in der Luft – aber ehe der Steinbock den seinen auf das Brett setzen konnte, brüllte der Löwe ihn so heftig an, daß er vor Schreck aufsprang und zur Tür hinauslief. Da erkannten die Tiere, daß der Löwe der Klügste von allen war und der Stärkste zugleich, und sie riefen ihn zum König aus. Seitdem ist der Löwe der König der Tiere.

 

Die Hofmusikanten

Es war einmal ein Esel, der gefiel sich nicht mehr in seiner Haut. Er war es leid, täglich vom Feld seines Herrn Futter heimzutragen und nach der Ernte die Saat auszudreschen. So hing er sich eines Tages das Fell eines Panthers um und lief in die Wüste.

Als ihn dort die Tiere sahen, ergriffen sie eilends die Flucht. Denn sie hielten ihn für einen gefährlichen Panther. Das gefiel dem Esel, denn nun konnte er fressen, soviel er wollte. Niemand machte ihm sein Futter streitig. Er hatte satt und war zufrieden.

Eines Tages aber trabte eine Eselin durch die Wüste. Sie war hochbepackt mit Krügen aus Ton, die ihr Herr in der Stadt verkaufen wollte. Als der Esel die Stute sah, brüllte er vor lauter Freude laut auf und stürmte auf sie los. In ihrem Schreck riß die Eselin sich von ihrem Herrn los und stob davon. Die Krüge flogen in weitem Bogen von ihrem Rücken und klirrten in tausend Scherben auf den Boden.

Der Mann, der den Esel an seiner Stimme erkannt hatte, fing ihn ein und verprügelte ihn so lange, bis er stöhnend niedersank. Danach fing er die Eselin wieder ein und führte sie ohne Ladung nach Hause zurück. Als der Esel zu sich kam, war guter Rat teuer. Er schämte sich, auf seinen Hof heimzukehren, und in der Wüste hatte er sich lächerlich gemacht.

„Meine Stimme hat mich verraten“, dachte er bei sich. „meine Stimme soll mich retten. Niemand hat eine Stimme wie ich. Ich muß mir meine Stimme dienlich machen.“

Gedacht, getan. Der Esel nahm eine Harfe und zog als Bänkelsänger durchs Land. Überall, wo der Esel hinkam, waren die Leute von seiner Stimme entzückt und belohnten ihn reichlich. Er zog den Nil hinab, von Stadt zu Stadt, und gewann sich alle Tiere und Menschen zu Freunden. Bald traf er auf einen Löwen. Der war alt und schwach und nahe am Verhungern, weil er nicht mehr lange nach Beute jagen konnte. Nur seine Stimme war noch kräftig und schön. Das Langohr forderte ihn auf, mit ihm zu ziehen, und der Löwe schloß sich mit einer Leier an. Unterwegs trafen die beiden auf ein Krokodil, das die Hirten halb totgeschlagen hatten, weil es ein Boot mit Kleinvieh umgeschlagen und ein Kälbchen gefressen hatte. In seinem Schmerz brüllte es laut, und die beiden fahrenden Sänger erkannten seine kräftige Stimme. Sie nahmen es in ihre Kapelle auf und hießen es Laute spielen.

Der Ruhm der Musikanten drang durchs Land, immer mehr Tiere und Menschen liefen herzu, um sie zu hören. Alle wurden bald so betört von dem Gesang, daß sie mitsingen mußten. Auch ein Affe lief herbei, der sich auf die Doppelflöte verstand und sehr geschickt tanzen konnte. Er dudelte mit und er tanzte, und nun war das Spiel vollkommen. Wenn immer die Tiermusikanten sich hören ließen, fingen alle zu singen und zu tanzen an und sie sangen und tanzten, bis die Tiere ihr Spiel beendet hatten. Das ging lange so, und das ganze Land stand in Freude. Eines Tages erreichte der Ruf der Tierkapelle selbst das Ohr des Großen Wesirs am Hofe des Pharao.

Dieser Wesir aber war kein ehrlicher Mann. Er hatte einen armen Bauern ein Stück Land weggenommen und es seinem eigenen Land zugeschlagen. Nun kam der arme Bauer an den Hof des Königs und wollte dem Pharao sein Leid klagen und ihn um sein Recht bitten. Als der Wesir den Bauern erblickte, bekam er Angst und sann auf einen Ausweg.

Da fiel ihm die Tierkapelle ein und er faßte einen Plan, wie sie ihm nützen sollte. Er schickte Leute aus, um die Tiermusikanten einzufangen. Nun war es aus mit Spiel und Tanz, und das ganze Land lag in Trauer.

Als am anderen Tage der arme Bauer in der Audienz vor Pharao erschien, um seine Klage vorzutragen, da befahl der Wesir den Tiermusikanten, ihr schönstes Lied zu singen. Der Esel schlug die Harfe, der Löwe zupfte die Leier, das Krokodil spielte die Laute und der Affe blies die Flöte.

Sobald die Tiere anhuben mit Musik und Tanz, fingen alle Leute im Audienzsaal an zu singen und zu tanzen. Und sie sangen und tanzten, bis die Zeit der Audienz um war und Pharao den Saal verlassen hatte.

Dann befahl der Wesir den Tieren , mit ihrer Musik aufzuhören, und er sperrte sie wieder in ihren Käfig. Der arme Bauer aber hatte sein Recht nicht bekommen.

Als er am nächsten Tage wieder in der Audienz vor Pharao erschien, um seine Klage vorzutragen, da befahl der Wesir der Tierkapelle wiederum zu singen und zu tanzen. Der Esel spielte die Harfe, der Löwe die Leier, das Krokodil die Laute und der Affe die Flöte.

Sobald die Musik anhub, fingen die Leute im Audienzsaal an zu singen und zu tanzen. Sie sangen und sie tanzten, bis die Zeit der Audienz um war und Pharao den Saal verlassen hatte. Dann gab der Wesir den Tieren das Zeichen, mit ihrer Musik aufzuhören, und er sperrte sie wieder in ihren Käfig. Der arme Bauer aber hatte sein Recht auch diesmal nicht bekommen.

Am andere Tage ging es wieder so und noch viele, viele Tage, und der arme Bauer wurde immer mutloser und war zuletzt ganz ohne Hoffnung. Traurig streckte er sich auf sein Lager nieder und weinte.

Das sah der letzte Freund, den er noch im Leben hatte: sein Hauspavian. Er sprang zu seinem Herrn und fragte ihn nach seinem Leid. Als ihm der Bauer erzählt hatte, was ihm widerfahren war, faßte der Pavian im gleichen Augenblick seinen Entschluß. Er lief schnurstracks in die Königsstadt und schlich sich zum Käfig, in den die Tiermusikanten eingesperrt waren, nämlich der Esel, der Löwe, das Krokodil und der Affe.

Der Pavian erklärte den Tieren, wie sie mißbraucht würden, und bat sie für seinen Herrn um Hilfe. Als nun am nächsten Tag der Wesir den Tierne wiederum das Zeichen gab – da blieben die Tiere stumm. Sie sangen nicht, sie musizierten nicht, sie tanzten nicht, so daß auch in der Audienzhalle keiner sang noch tanzte. Der arme Bauer konnte seine Klage gegen den Wesir von Anfang bis Ende vortragen, und jedermann vernahm das Unrecht.

Danach hielt der Pharao Gericht. Er sperrte den Wesir in einen tiefen Kerker, gab dem armen Bauern sein Land zurück und das Land des Wesirs dazu. Die Tiere ließ er frei, lobte sie und verlieh ihnen Titel und Rechte von Hofmusikanten.

Seitdem ist das Land wieder in Freude bis auf den heutigen Tag, und in vielen Tempeln wurde auf den Säulen das Bild der musizierenden Tiere angebracht zum ewigen Gedächtnis.