Wo kamen die Götter her?
..... und wohin sind sie verschwunden?

 

Die frühesten Anfänge in der Entstehung der ägyptischen Götter liegen lange vor der Existenz eines Ägypten als Nationalstaat, und auch lange vor der Erfindung der Schrift. Die heutigen Wissenschaftler haben es daher sehr schwer, nur mit Hilfe von nichtschriftlichen Zeugnissen, die Anfänge der altägyptischen Religion genau zu rekonstruieren. Wie alle frühen Menschen bzw. Völker waren auch die Menschen

am Nil von Ehrfurcht gegenüber den Mächten der natürlichen Welt (Naturerscheinungen) erfüllt. Archäologische Zeugnisse in Form von kleinen Figuren deuten darauf hin, das die ersten Gottheiten Ägyptens Tiergottheiten waren, so zum Beispiel die Kuh und der Falke. In der späten prädynastischen Zeit, also ca. 3000 v. Ch., finden wir Belege für weitere Tiere, wie den Schakal bzw. den Hund, Gazellen, Rinder und Widder, die in wahrscheinlich rituellem Kontext begraben wurden. Ebenso gibt es aus dieser Zeit Tierdarstellungen, die durchaus auf die Vorstellung hindeuten können, das die Tiere ebenso eine Seele besaßen, die respektiert und versöhnlich gestimmt werden müsse. Die Vorstellung, das Göttliche könne sich den Menschen in Tiergestalt offenbaren, ist eine wesentliche Vorraussetzung für die Tiere, die auf vollkommen menschliche
Statuette des "Großen Weißen", einer frühen Paviangottheit aus der späten prädynastischen Zeit, ca. 3000 v. Ch.
Weise handelnd gezeigt werden und am Ende der späten prädynastischen Epoche die großen Darstellungen der ägyptischen Götter sind. Hierfür ein sehr anschauliches Beispiel ist die berühmte Narmer-Palette. So sieht man auf deren Rückseite einen Falken, der einen Gefangenen festhält, und auf der Vorderseite einen Stier, der eine Stadtmauer niederreißt. Ebenfalls dargestellt sind mythische Panther mit Schlangenhälsen und auf beiden Seiten Abbildungen einer kuhköpfigen Gottheit, bei der menschliche und tierische Merkmale miteinander verschmelzen.

Nun war bis jetzt immer nur von tiergestaltigen Göttern die Rede, aber was ist mit den menschengestaltigen Gottheiten? Wann diese in der Entwicklung auftauchten ist heute noch umstritten. So sind zwar eine Reihe von primitiv geformten Figuren aus der Negade-Zeit gefunden worden, jedoch können diese eine Vielzahl von Verwendungszwecken gehabt haben und man kann nicht mit Gewissheit sagen, ob es sich hierbei nicht doch um die Abbildung einer Gottheit handelt. Die Vorstellung von menschlich aussehenden Göttern scheint nur langsam in die Religion übernommen worden sein und in einer Hinsicht auch nie vollständig. So ist wohl die Göttin Hathor eine der ersten Gottheiten gewesen, der man eine menschliche Gestalt verlieh, nichtsdestotrotz behielt sie immer die Hörner ihres heiligen Tieres, nämlich der Kuh, auf dem Kopf oder wurde ganz in Rindergestalt darsgestellt.

Palette des Narmer, links die Vorderseite und rechts die Rückseite der Palette, gefunden wurde sie in Hierakonpolis

Gottheiten sind überall in der antiken Welt aus den Bedürfnissen der damaligen Menschen heraus entstanden. Mag dies in den Anfängen noch der Wunsch nach Schutz vor wilden Tieren oder Krankheiten gewesen sein, so ist dies allmählich einem Bewusstsein längerfristiger Bedürfnisse gewichen. Als es um 3000 v. Ch. zur sog. "Vereinigung der Zwei Länder" kam, sprich zu einer Zentralregierung mit nur einem Herrscher, änderten sich die empfundenen und realen Bedürfnisse der Bevölkerung rasch. So entstanden ebenso nationale Gottheiten wie der Kult um den göttlichen König.

 

Mit der Zeit nahmen die Götter in ihrem Wesen immer mehr menschliche Züge an. Das heisst, sie nahmen immer verstärkter die Schwächen und Beschränkungen der Menschen an, das sogar der Tod vor den Göttern nicht halt machen sollte. Aus zahlreichen Texten wissen wir, das auch die Götter nicht unsterblich waren. Dieser Umstand ist vor allem im Kult um Osiris und Re von großer Bedeutung. Zwar benutzte man in den alten Texten in Bezug auf die Götter das Wort "sterben" nicht wörtlich aber man sprach wohl davon, das zum Beispiel Osiris von Seth ermordet, und anschließend von Isis mumifiziert und begraben wurde. Oder so glaubte man vom Sonnengott Re, er werde jeden Tag alt und "sterbe" bei Nacht, um am nächsten Morgen neu geboren oder wiederbelebt zu werden. In mehreren ägyptischen Mythen ist sogar davon die Rede, das Re ungeheuer alt und klapprig war. Das göttliche Ableben bezog sich jedoch nicht nur auf die zwei Götter Osiris und Re - nein, lt. einem Text aus dem Neuen Reich, weist der Gott Thot den Menschen als auch den Göttern eine gleichermaßen feste Lebensspanne zu. Auch im Spruch 154 des Totenbuches wird deutlich, das der Tod "jeden Gott
Statue des Gottes Min aus Koptos, späte prädynastische Epoche, ca. 3150 v. Ch.
und jede Göttin erwarte". Wissenschaftler haben aufgezeigt, das es möglicherweise Hinweise darauf gibt, das die innersten Bereiche der Tempel als die Gräber der Götter betrachtet wurden. Desweiteren gibt es verschiedene konkrete Verweise auf die "Gräber" bestimmter Götter und einige von diesen mythischen Begräbnisstätten wurden damals als solche auch verehrt. Bei all den Überlegungen bezüglich "sterben" und "Tod" hinsichtlich der Götter darf man nicht vergessen, das für die Ägypter der Tod nicht die Beendigung der Existenz bedeutete. Bei ihnen ging das Leben aus dem Tod hervor, so wie der Tod natürlich dem Leben folgte. Und aus diesem Zyklus, der einfach da war, wurden auch die Götter nicht ausgeklammert.

Es gab zwei Sichtweisen von Ewigkeit. Zum einen war das die ewige Wiederkehr -"neheh" und zum anderendie ewige Fortdauer - "djet". Eindeutig ist dies in Erklärungen wie der folgenden, die sich in den Sargtexten findet:

"Ich bin derjenige, den Atum erschuf - ich bin unterwegs zu meinem Ort ewiger Gleichförmigkeit - ich bin es, der ewige Wiederkehr ist."

So konnten die Götter sterben und trotzdem im andauernden Verlauf der Zeit bleiben. Doch letzten Endes erwartete auch die Götter ein definitives Ende. In der ägyptischen Mythologie war klar, das nur die Elemente, aus denen die Urwelt hervorgegangen war, schließlich und schlussendlich übrig bleiben wird. In einem Sargtext wird erzählt, wie der Gott Atum und der Gott Osiris irgendwann, nach Millionene von Jahren, an einen Ort zurückkehren würden, der den Zustand umschreibt, wie er vor der Erschaffung der Welt vorherrschte. Im berühmten Dialog "Vom Ende der Zeit" zwischen Atum und Osiris, beklagt sich Osiris über diese düstere Zukunft, worauf ihn Atum damit tröstet, das nur sie beide überleben werden, auch wenn die ganze Welt irgendwann im Urozean verschwinden sollte. Sobald dies geschehen war, würden sie beide die Gestalt von Schlangen annehmen, und es gäbe fortan weder Menschen noch Götter - in den Wassern des Chaos würde nur noch das Potenzial für Leben und Tod überdauern.

Um von der Mythologie auf die Historik zurückzukommen, erwartete die ägyptischen Götter und ihr Glaube an sie ein tatsächliches Ende. Der Aufstieg des Christentums und später des Islams bedeuteten für die alte Religion das Todesurteil. Aber so leicht wollten die alten Götter nicht aufgeben ;o)

Auf Befehl Kaisers Theodosius wurden im Jahr 383 n. Ch. die heidnischen Tempel im ganzen römischen Reich geschlossen. Weitere Erlasse gipfelten schließlich darin, nicht nur alte religiöse Bauwerke zu schließen, sondern sie auch zu zerstören. So wurden die alten ägyptischen Tempel schließlich von der Bevölkerung gemieden, für andere Zwecke umfunktioniert und von fanatischen Christen tatkräftig zerstört. Die alten Götter, die tausende von Jahren über das ägyptische Reich gewacht hatten, wurden im Stich gelassen. Trotz allen diesen Widrigkeiten reisten noch im Jahr 452 n. Ch. im süden Ägyptens Pilger nach Norden zum Tempel von Philae, um von dort die Statue der Göttin Isis mitzunhemen, damit die Göttin ihre verwandten Götter in Nubien besuchen konnte. Als schließlich 639 n. Ch. die Araber in Ägypten einfielen, war außer den Überresten ihrer einst so prächtigen Tempel nichts mehr von den Göttern des Altertums übrig.
einige der frühesten aus Ägypten bekannten anthropomorphen Bildnisse scheinen die menschliche Gestalt mit zoomorphen Merkmalen zu verschmelzen, wie bei der geschwungenen, gehörnartigen Haltung der Arme dieser Frauenstatuette aus der Negade II - Kultur