Die Heilkünste

 

Ägypten galt in der Antike als das Ursprungsland der Weisheit und der Mysterien. Sowohl Griechen als auch Römer sahen den Ursprung der Medizin in Ägypten. Homer schreibt ins seiner Odyssee:


"Dort bringt die fruchtbare Erde viele Heilmittel hervor, zu guter und schändlicher Mischung. Und dort ist jeder ein Arzt und jeder gescheiter als alle die Menschen."

Odyssee 4, 229-232


Die Ärzte unterstanden der der Schutzgöttin Selket, der Skorpiongöttin, und der in Sais ansässigen Göttin Neith. In Sais befand sich sogar eine der bedeutendensten medizinischen Schulen der damaligen Zeit, die noch während der Herrschaft der Perser fortlebte. Andere ägyptische Heilgötter wie Isis oder Thot waren später auch in Griechenland und in Rom ihrer Heilkraft wegen sehr berühmt und ihre Statuen waren sehr begehrt. So zählte Imhotep, Arzt und Architekt unter Pharao Djoser, zu einem der



wichtigsten Heilgötter der Ägypter. Ihm wurden zahlreiche Weisheitsbücher zugeschrieben und er galt in der Spätzeit als "Sohn des uralten Ptah".
Schon im Alten Reich war die Heilkunde hoch entwickelt. Unter Schriften aus dieser Periode fand sich eine Sammlung der Heilmittel der Wechedu. Unter Wechedu verstand man eine krankheitserregende Substanz, die in den Gefäßen des menschlichen Körpers zirkulierte und die "getötet" werden musste. Diese Sammlung stammt aus der 1. Thinitischen Dynastie.

Goldene Statuette der Göttin Selket

 

Spezialisierungen  

Aus solchen Abhandlungen, wie oben aufgezählt, wissen wir, das es Spezialisierungen unter der Ärzteschaft gab.. Ihr Berufsstand war hierarchisch geordnet. So gab es ganz normale einfache Ärzte (ägyptisch sunu), Militärärzte, Fachärzte und ganz an der Spitze Chefärzte, die meist im Königspalast Krankheiten und Weh-Wehchen zu behandeln hatten. Unter den Fachärzten fanden sich Allgemeinmediziner, Chirurgen, Gynäkologen, Zahnheilkundige, Ärzte für die Innere Medizin, Tierärzte und solche, die ausschließlich damit beschäftigt waren, Arzneien herzustellen. Die ägyptischen Ärzte besaßen im gesamten Nahen Osten einen hervorragenden Ruf und manch ein fremdländischer Herrscher ließ nach einem ägyptischen Arzt schicken, damit er ihn heile. So ließ zum Beispiel der Arzt des Pharao Neb-Amun einen Syrer in
Beschneidung, Grab des Arztes Ankh-Mahor, 6. Dynastie

einem exotischen Gewand in seinem Grab darstellen, wie dieser (wahrscheinlich) an einem Heiltrank schlürft. Aber auch die Ägypter selbst ließen nach ausländischen Heilgottheiten schicken. So Pharao Amun-Hotep III., der den Herrscher der Mitanni, Tuschratta, darum bat, ihm das wundertätige Bild der Göttin Ischtar nach Theben zu schicken.

 

Diagnostik, Behandlung und Heilung

Die damaligen Ärzte waren davon überzeugt, einem kranken Menschen die Krankheit ansehen zu können. Sie besaßen aber auch Techniken, um den Körper abzutasten und überprüften gegebenenfalls den Stuhl und den Urin des Patienten. Intensiv wurde der Puls betastet, denn man wusste, das das Herz "aus den Gefäßen jedes Gliedes spricht". War die Diagnose abgeschlossen, so wurde dem Patienten entweder mitgeteilt "Ich werde die Erkrankung behandeln", "Ich werde mit der Erkrankung kämpfen" oder aber "Ich kann die Erkrankung nicht behandeln". Hier der Fall einer Schläfenverletzung aus dem Papyrus Smith:

 

Behandlung von jemand, der eine perforierte Schläfe hat

Wenn Du einen Menschen behandeln musst, dessen Schläfe perforiert ist, untersuche seine Verletzung. Sag zu ihm "Dreh den Kopf nach hinten". Wenn er ein wenig am Auge leidet, während er den Hals dreht, und das Auge an der Seite der Verletzung von Blut angelaufen ist, sag "Siehe, ein Mensch, dessen Schläfe perforiert ist und der an Steifheit am Hals leidet. Das ist eine Krankheit, die ich heilen kann". Lass ihn sich hinlegen, bis die akute Phase seines Leidens vorbei ist. Leg ihm Kompressen mit Fett und Honig auf, bis er sich wieder aufrichtet.

Folgende Behandlungsmethode wird in einem Fall angeraten, der als nicht heilbar galt

Behandlung von jemand, der eine verletzte Schläfe hat, mit beschädigten Knochen und mit perforierten Schläfenknochen

Wenn Du einen Menschen behandeln musst, der eine verletzte Schläfe mit einem beschädigtem Knochen und einer Perforation des Schläfenknochens hat, dessen Augen blutunterlaufen sind und der tropfenweise Blut aus den Nasenlöchern verliert. Falls er, wenn Du die Finger auf die Ränder der Verletzung legst, lange zittert; falls er, wenn Du ihn danach fragst, was er spürt, nicht zu dir spricht, sondern reichlich Tränen aus seinen Augen herabfließen, und er häufig die Hand ans Gesicht führt und sich unbewusst die Augen mit dem Handrücken trocknet wie ein Kind, sag "Siehe, ein an der Schläfe verletzter Mensch mit beschädigtem [...]. Ihm tritt Blut aus der Nase, er leidet an Steifheit am Hals und kann nicht sprechen. Das ist eine Krankheit, die ich nicht heilen kann". Wenn Du diesen Menschen antriffst und er ist unfähig zu sprechen, ist das, was ihm Erleichterung verschafft, ihn hinzusetzen. Salb seinen Kopf mit Fett ein, gib ihm Salbe auf die Ohren.

 

Die Ägypter verstanden schon recht gut den Zusammenhang vieler Krankheiten mit dem Blutkreislauf, und erkannten, das Krankheiten oft durch Verstopfungen, Überhitzungen oder Versteifungen der Gefäße hervorgerufen wurden. Oft wurden Krankheitsursachen Würmern, Eiterungen oder auch übermäßigem Essen zugeschrieben. Aus dem letztgenannten Grund galt die Mäßigung der Nahrungsaufnahme als DIE gesundheitliche Grundregel. Jedoch besaßen die ägyptischen Ärzte wenig Kenntnisse von der Anatomie des menschlichen Körpers. Obwohl sie schon in frühesten Zeiten die Leichen ihrer Mitmenschen zur Einbalsamierung ausnahmen, so war dies "nur" eine praktische und notwendige Tätigkeit, und keine Wissenschaft.

 

Einer dieser medizinischen Papyri handelt vor allem Frauenkrankheiten ab. So finden sich dort zwei Rezepte zur Geburtenkontrolle, wobei eines auf Krokodilkot, das andere auf Honig verweist. Eine Schwangerschaft stellte man anhand von Pulsfrequenz, Brechreiz und Körpergasen, sowie dem Augenausdruck und der Pigmentierung von Brüsten und Haut fest. Im Papyrus KAHUN kann man nachlesen, auf welche Art und Weise man sogar schon das Geschlecht des ungeborenen Kindes bestimmen kann. Hierfür tränkte man Gersten- bzw. Speltkörner in den Urin der schwangeren Frau und pflanzte diese dann ein. Sollte nun das Gerstenkorn zuerst anfangen zu keimen, konnte man einen Jungen erwarten,
Schrank mit medizinischen Instrumenten, Kom Ombo, Tempelmauer des äußeren Umgangs

bei den Speltkörnern konnte man sich auf ein Mädchen freuen. Die Wirksamkeit dieser Methode konnte heutzutage jedoch nicht nachgewiesen werden. Auch glaubten die Ägypter daran, das der männliche Samen sich in den Knochen befände und das bei der Herausbildung der Kinder die Haut und das Fleisch von der Mutter stamme, die Knochen jedoch vom Vater.

Hier noch ein Rezept, welches bei Darmverstopfungen Abhilfe schaffen sollte:

Bereite ihm das geheime Heilmittel, das der Arzt verordnet hat: Pach-serit (eine nicht identifizierbare Pflanze) mit Dattelresten. Mische es, löse es in Wasser und gib dem Patienten vier Morgen lang zu trinken, sodass er seinen Darm entleert. Wenn Du nach dieser Behandlung findest, das seine rechte Körperseite warm ist, die linke kalt, so kannst Du sagen "Die Krankheit ist am Abklingen. Sie verschwindet von selbst" Besuche ihn nochmals. Wenn Du findest, das sein Körper gut kalt ist, so kannst Du sagen "Seine Leber ist geheilt und hat sich gereinigt. Sie hat die Medizin aufgenommen".

Ein Rezept aus dem Papyrus Ebers, welches als unfehlbar angepriesen wurde

 

Medizin und Magie

Bei besonders schweren Fällen griff man unweigerlich auf  Zuhilfenahme von Magie, magische Rituale und Zaubersprüche zurück. Das heißt, wenn man es den Menschen äußerlich nicht ansah, also keinerlei Verletzungen oder Wunden auftraten, so glaubten die Ägypter an das Wirken böser Geister, den bösen Blick oder an ruhelose Verstorbene, die den Kranken quälen wollten. Dämonen wurden insbesondere mit der Göttin Sachmet verbunden, die ja bekanntlich in der ägyptischen Mythologie die Bringerin von Seuchen und anderen schweren Krankheiten war. Da sie auch mit Feuer und Hitze assoziiert wurde, ist es nicht verwunderlich, das auch Fieber den Dämonen zugeschrieben wurde. Auch bei Magenproblemen und Kopfschmerzen sah man als Ursache Dämonen.

Man flösste dem Patienten dann ein Brechmittel ein, um den Dämon auf diese Weise zu entfernen. Von Dämonen glaubte man, das sie entweder in der Wüste hausten und dann mit dem dort ansässigen Seth in Verbindung standen, oder man glaubte an eine Art umgekehrte Anderswelt, wo die Dämonen mit dem Kopf nach unten lebten. Das bedeutete, das ihr Mund da war, wo eigentlich der Anus hätte sein sollen und sie somit ihren eigenen Kot essen mussten. Ein anderes Gegenteil war, das ihnen süße Sachen nicht schmeckten, sondern sie als bitter empfanden und sich sogar davor fürchteten. Deshalb hielten die Ägypter Honig als ideal für die Vertreibung von Dämonen und bösen Geistern. Aus diesem Grund aßen auch Frauen nach der Geburt eines Kindes gerne Honigkuchen, da beide, Mutter und Kind, in dieser Zeit besonders anfällig für Damonen/ Krankheiten waren.
Holzstatue eines Arztes aus der 5. Dynastie

Aus dem Papyrus Ebers passt folgender Spruch sehr gut, um die Verbindung
zwischen Medizin und Magie deutlich zu machen:

"Wirksam sind die magischen Formeln, die zusammen mit den Medikamenten wirken, wie im übrigen die Medikamente wirksam sind, die zusammen mit den magischen Formeln wirken."

Das Betätigungsfeld des magischen Beschwörers umfasste das behandeln von Krankheiten mittels magischer Formeln. Auch wenn man Heiltränke und Rezepte zum Behandeln von Krankheiten kannte und auch nutzte, so wurde die Behandlung doch mittels mächtiger Zaubersprüche unterstützt. Aus dem Papyrus Turin zeigt das folgende Beispiel, wie man eine Fischgräte aus der Kehle eines Patienten entfernt. Eigentlich sollte es ausreichen, ein Stück Brot runter zu schlucken, doch der ägyptische Zauberer fügte noch eine magische Formel hinzu. Und die sah so aus:


Spruch zum Herausziehen einer Fischgräte
O mein einziger, o mein einziger, mein Diener! O mein einziger, o mein Einziger! Die Brote sind in der Stadt, die Sachen zum essen - Fische und Vögel - sind auf dem Feld mit dem Wasser. Sei herausgezogen, o Gräte!
Dieser Spruch soll über den Brotlaib gesprochen werden, der von einer Person gegessen wird, der eine Fischgräte in der Kehle hat.
Mein Weg ist der Weg meiner Sonne. es wurden hervorragende Speisen auf dem Feld mit dem Wasser gespendet. Erinnere Dich, o Gräte!
Dieser Spruch soll über eine Brotlaib gesprochen werden, der einem anderen gegeben wird, damit er ihn hinunterschluckt. Neben dem Mann stehen (während des Vorgangs).

Der Magie basierte stets auf dem Willen, den menschlichen Körper in Harmonie mit dem Kosmos zu bringen, wobei der Körper als "Empfängnisbehälter" der vitalen Kräfte diente. Nach dem Glauben der Ägypter wurden die Krankheiten von weiblichen oder von männlichen Feinden hervorgerufen, gegen die der Magier sozusagen als Krieger mit seinen Waffen (Magische Formeln, Heilmittel) ankämpfte. Eine weitere Form der Heilung war die direkte Anrufung ägyptischer Heilgötter. So wandte man sich an Imhotep, Isis oder Re. Die Ägypter schlussfolgerten aus ihren Mythen, in denen auch Götter erkranken konnten und diese dann von anderen Göttern geheilt wurden, das diese Heilgötter auch die menschlichen Leiden heilen konnten. So wird in einer Formel der sog. Sargtexte der Sonnengott Re als Fachmann der Augenheilkunde ausgewiesen, welcher beim Auge des Himmelsgottes Horus eine Verletzung diagnostiziert, welche ihm Seth zugefügt hat. Hier ein Auszug:



"Es geschah, das Re zu Horus sprach: Lass mich Dein Auge sehen nach dem, was ihm passiert ist. - Er prüfte es und sagt: Fixiere diesen schwarzen Strich, während Du mit der Hand das gute Auge verdeckst. - Horus fixierte das schwarze Zeichen und sprach: Also ich sehe ihn ganz weiß. - Da sprach Re: Fixier jetzt dafür dieses schwarze Schwein. - Horus machte es und schrie, weil das Auge gereizt wurde und sprach: Sieh, mein Auge ist wie nach einem Schlag, den Seth gegen mein Auge geführt hat. - Und darauf verlor Horus das Bewusstsein. Darauf sprach Re: Legt ihn auf das Bett, bis er das Bewusstsein wiedererlangt. - Tatsächlich hatte sich Seth ihm gegenüber in ein schwarzes Schwein verwandelt und ihm einen Schlag aufs Auge verpasst."

Isis wurde oft als Wunderheilerin angerufen, besonders im Fall von einer Schlangenbissvergiftung. Auch hier kann man eine Gleichheit in den Mythen sehen, denn in der Geschichte von der "List der Isis" heilt Isis Re von einem Schlangenbiss. Isis wurde auch "die göttliche Zauberin", "die schützende Mutter" und "die Herrin der Heilpflanzen" genannt. Unter anderem war auch Horus als Arzt "bekannt" und war ebenso wie Isis auf Schlangenbisse und Skorpionstiche spezialisiert.

Die Ägypter sahen sich körperlich mit vielen Göttern ihres Pantheons verbunden. Folgender Spruch aus dem Totenbuch, genauer gesagt ist es der Spruch Nr. 42 ;o) , zeigt uns die Anatomie des menschlichen Körper in seiner göttlichen Form:


"Mein Haar ist der Gott Nun, mein Gesicht ist Re.
Meine Augen sind Hathor, meine Ohren sind Upuaut.
Meiner Nase ist der Gebieter von Letopolis, meine Lippen sind Anubis.
Meine Zähne sind Selket, mein Nacken ist die göttliche Isis.
Meine Arme sind der Widder von Mendes, meine Brust ist Neith,
die Herrin von Sais.
Mein Rücken ist Seth, Mein Penis Osiris.
Mein Fleisch sind die Götter von Cheri-aha.
Mein Leib und mein Rückgrat sind Sachmet, mein Hintern ist das Horus-Auge.
Meine Schenkel und meine Waden sind Nut, meine Füße sind Ptah.
Meine Finger und Zehen sind die lebendigen Uräen,
kein Glied an mir ist ohne einen Gott.