Kurzgeschichte zur Zeit Echnatons
Autor: Nefermiu
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TEIL 2

Echnaton ließ verlauten, daß er zwei Wochen lang mit seinem Gefolge in Abydos bleiben würde. Zwei Wochen, in denen er sich in der Gesellschaft von heuchlerischen Oberbeamten und den Priestern, die sich auf einmal zu Aton bekehrt fühlten, suhlen würde. Seine beiden Wesire, die Generäle und andere hochrangige Personen, die alles um sich herum geschehen ließen, um nicht ihre Position zu verlieren, schickte der Pharao aus, damit seine göttliche Mission erfüllt wurde. Mir wurde schlecht, wenn ich daran dachte, wie viele Städte an einem Tag das gleiche Schicksal wie Abydos ereilen würde, bis es bald nicht einen einzigen unversehrten oder geöffneten Tempel unserer Götter mehr geben würde.
Es wurden Gerüchte laut, daß Echnaton plane, im ganzen Land Aton-Heiligtümer zu errichten. Das prächtigste unter diesen Bauwerken sollte in Theben stehen. Ausgerechnet Theben, die Stadt unseres höchsten Gottes Amun, die goldene Festung all unserer Sehnsüchte, der Traum eines jeden Ägypters. Amuns Patronat! Der Pharao mußte nun mit einem offenen Machtkampf mit den Amun-Hohepriestern rechnen. Aber interessierte ihn das wirklich? War es überhaupt sein Problem? Seit vier Jahren saß Echnaton auf dem Thron. Zeit genug, um Vorkehrungen zu treffen. Er würde als Sieger aus dieser Schlacht hervorgehen.
Und nicht nur als Sieger im Kampf gegen die mächtigen Priester, sondern vor allem als Sieger gegen seine geringsten Untertanen, gegen uns, Handwerker, Bauern, unterrangigen Priester und andere Männer. Es war ganz einfach, das Volk zu zermürben. Die Schließung der Tempel schadete vor allem den Priestern, jedoch nicht so sehr der breiten Masse, die überhaupt keinen oder nur eingeschränkten Zutritt zu den Heiligtümern hatte. Also dachte sich Echnaton etwas anderes aus. Er schickte seine Soldaten durch die Straßen, um jedes einzelne Haus nach Bildern und Statuen der alten Götter zu durchsuchen. Natürlich wurden sie in ausschließlich jedem Haus fündig. Figuren aus Metall wurden eingeschmolzen, und man erhielt einen gleichwertigen Klumpen aus Gold, Silber oder Kupfer zurück. Ich lächelte bitter, Gold und Silber, wer besaß es schon? Reich war unter uns doch schon jemand, der ein wenig Kupfer sein Eigen nennen konnte. Statuen aus wertloserem Material wurden auf den Straßen gesammelt und schließlich verbrannt. Mitten in der Mittagshitze rauchte und qualmte es überall in Abydos, weil unsere Götter ausgelöscht wurden! Die kleine Osirisstatue meines Vaters – auch sie wurde verbrannt. Meine einzige Erinnerung an ihn...
Vor drei Tagen war Echnaton nach Abydos gekommen. Drei Tage, und ich war noch immer so verwirrt und erschrocken wie in der ersten Sekunde. Ich war erschüttert und wußte die Ereignisse nicht zu realisieren. Auf einmal sollte Osiris, mein Gott und der meiner Vorfahren, nicht mehr existent sein? Und Amun und Isis und Ptah, und wie sie alle hießen, nicht mehr existent? Wie sollte etwas von heute auf morgen verschwinden, was seit Menschengedenken in unseren Herzen verankert war? Wer uns unsere Götter nahm, der riß uns unsere Herzen und unsere Seele aus der Brust. Dies war kein lebenswertes Dasein mehr.
Ich zuckte zusammen, denn ich wußte, daß meine Gedanken ausgesprochen und in den falschen Ohren mein Todesurteil bedeutet hätten. Ich zweifelte Echnaton und seine Ausnahmestellung, die er als einziger Prophet Atons besaß, an. Und ich wollte nicht den Gott verehren, den er mir gab, sondern den, den meine Väter verehrt hatten. Wären Fremdherrscher ins Land gekommen und hätten unser Pantheon verboten, damit wir ihren eigenen Göttern huldigen, es hätte für mich keinen großen Unterschied gemacht. Ich begann, meinen Pharao, den fleischgewordenen Horus, zu hassen, und es war das höchste Vergehen am Nil, auch nur zu denken, was ich in den letzten drei Tagen gedacht hatte.
Manchmal war ich am überlegen, was schlimmer war, die Frevel Echnatons oder die Tatsache, daß ich nun mehr weder eine Wohnung noch einen Lohn hatte, von dem ich leben konnte. Schließlich war ich kein Priester mehr, und unsere Behausungen innerhalb des Tempelkomplexes waren nach der Schließung nicht mehr zugänglich. Da ich überleben wollte, schloß ich mich einem sehr gefährlichen Unternehmen an. Ich und ausnahmslos alle anderen Priester meines Tempels, etwa zwanzig, vom Propheten bis zum Wab-Priester. Halt, nicht alle, es gab zwei Ausnahmen, der Hohepriester Neferka und der Dritte Prophet Wesirhotep, denn beide kehrten nie von ihrer Reise zurück. Jeder konnte sich ausmalen, was mit ihnen wohl geschehen war.
Der Priester Hemka holte mich aus meinen Gedanken, indem er mich sanft anstieß. „Nubra wird gleich zu uns sprechen“, sagte er nur.
Nubra war der Anführer unserer Versammlung, denn als ehemals Zweiter Prophet ersetzte er nun Neferka. Zu diesem Zeitpunkt konnten wir zwar noch nicht sicher von seinem Tod ausgehen, doch mußte irgendeiner von uns die Leitung übernehmen, und dies war seinem Rang nach konsequenterweise Nubra. Er war ein guter Mann, daran zweifelte niemand. Was mich allerdings gar nicht beruhigen konnte, war, daß Djedefwesir als Vierter Prophet damit zu Nubras Vertreter aufstieg.
„Ich bin stolz auf euch, Priester des Osiris“, hörte ich die dumpfe Stimme Nubras. „Ihr alle seit hier zusammengekommen, obwohl ihr wißt, daß es euch euer Leben kosten könnte. Neferka und Wesirhotep hat es wahrscheinlich schon ihre Leben gekostet, denn sie sind seit gestern überfällig, und wir alle sind uns nur zu gut bewußt, daß der Hohepriester niemals in seiner Amtszeit mit einer Verspätung von einer Reise zurückgekehrt ist. Doch Echnaton hat uns nicht nur Neferka und Wesirhotep genommen, nicht nur unsere Tempelbehausungen, unseren Lohn und unsere Existenz, nein, er hat uns vor allem eines genommen – unsere Götter und damit den Sinn unseres Lebens!
Als ich euch alle einzeln innerhalb der letzten drei Tage aufgesucht habe, um euch von der heutigen Versammlung mitzuteilen, hat mir jeder von euch seine Treue geschworen. Und ihr habt sie nicht nur mir geschworen, sondern auch unserem Herrn, Osiris. Damit habt ihr alle selbst euer Todesurteil gefällt, sollte dies jemals öffentlich werden. Doch wollt ihr von nun ab immer in Todesangst leben, wenn ihr eurem Gott huldigt? Wollt ihr als Bettler auf der Straße leben, weil ihr nicht mehr eurer Berufung nachgehen dürft? Oder wollt ihr euch irgendwann einmal, wenn Echnaton seine ganzen Aton-Tempel hat fertigstellen lassen und er Priester für sie brauchen wird, als Priester des Verräters Aton abkommandieren lassen? Wollt ihr dem falschen Gott dienen und dem Befehl eures Pharaos gehorchen, der euch auffordern wird, Osiris, euren wahren Herrn zu bespucken und auszulöschen?
Ihr alle habt euch mir angeschlossenen, denn sonst wäret ihr nicht hier. Ihr alle habt mir eure Liebe zu Osiris bekundet. Echnaton läßt uns nur eine Wahl: er oder Osiris. Muß ich euch sagen, was zu tun ist, solange unser Pharao noch in Abydos weilt?“
Ein ungläubiges Raunen und gefährliches Knistern ging durch den Felsraum, auf dessen Boden wir alle außer dem stehenden Nubra saßen. Nachdem Nubra mit jedem von uns in den letzten Tagen gesprochen hatte, hatte er gleichzeitig auch Neferkas und sein Geheimnis um jenen unterirdischen, in den Fels geschlagenen Ort am Stadtrand von Abydos preisgegeben. Die wichtigen Hohepriester des Landes schienen einige Asse im Ärmel zu haben, von denen weder der Pharao und schon gar nicht ihre Untergebenen wußten. Nubra hatte ebenfalls nicht in Erfahrung bringen können, wann Neferka den Felsraum hatte bauen lassen oder ob er ihn nicht sogar selbst nur von seinem Vorgänger oder dessen Vorgängern übernommen hatte. Er hatte das Geheimnis um diesen Standort vor einigen Jahren von Neferka empfangen und, wie es sich gebot, keine weiteren Fragen gestellt. Der Hohepriester hatte ihm nur gesagt, daß er den Priestern in der Stunde der Not als Unterschlupf dienen sollte. Manchmal hatte Nubra die Vermutung, daß Neferka sich dort von Zeit zu Zeit möglicherweise mit anderen Hohepriestern der Gegend getroffen hatte, um dort geheime Mysterienfeiern abzuhalten. Er war sich nicht sicher, und vorerst würde er es auch nicht mehr erfahren, solange Echnaton seine wahnwitzige Idee umsetzen und etablieren konnte und der Glaube an einen anderen Gott das Leben kostete.
Noch immer unterhielten sich die Männer wildgestikulierend. Nubra beobachtete seine untergebenden Priester. Sofern man es im fahlen Fackelschein des Raumes erkennen konnte, wuchs die Zufriedenheit in seinem Gesicht. Erstaunlich! Vor einer Woche noch hätte man Nubra des Hochverrats sofort dem Wesir ausgeliefert. Sicher, viele hatten Echnaton schon immer für einen eigenartigen Spinner gehalten – natürlich ohne es laut auszusprechen. Jeder hatte mitbekommen, daß Aton, dessen Kult schon sein Vater Nebmaatre Amenhotep und dessen Vater Menkheprure Thutmose zu einer kleinen Blüte gebracht hatten, von Echnatons Geburt an dessen persönlicher Patron gewesen zu sein schien. Und vielleicht hatte er Aton sogar noch mehr verehrt als andere Pharaonen ihren jeweiligen Favouriten, aber niemand aus dem Volk hatte Echnaton gehaßt.
Aber jetzt war alles anders. Die Priester schienen sich tatsächlich bald darauf zu einigen, daß es nötig sei, den lebendigen Horus in einer Verschwörung zu ermorden. Es klang noch immer so unglaublich, aber auch ich wußte, daß es ein göttlicher Auftrag war, denn Echnaton war wahnsinnig, und die Götter forderten ihre Rache – durch uns!
Die Priester wurden ruhiger. Der Vorlesepriester Hemneb hatte, zu Djedefwesirs Ärgernis, meistens das Wort, faßte die Ergebnisse der in den letzten Minuten ausgetragenen Diskussion zusammen und ließ von dem ein oder anderen noch neue Aspekte hinzufügen.
Ich hatte als einziger die ganze Zeit geschwiegen. Ich wußte nicht mehr, was ich denken und tun sollte, aber ich würde dem Beschluß der Gemeinschaft Folge leisten. Wenn es zwischen Echnaton und Osiris zu wählen galt, so würde ich immer letzteren nehmen, denn Osiris war seit Urzeiten einer der höchsten Götter, während der Pharao zwar auch göttlich war, doch nur für einen bestimmten Zeitraum als Inkarnation des Horus regierte. Und wenn die einzige Lösung Echnatons Tod war, dann mußte es so enden!
Hemneb erhob sich erhaben, denn er war wie die vier Propheten ein hochangesehener Mann und besaß als solcher ebenfalls eine Villa in Abydos. Er ging auf Nubra zu, senkte seinen Kopf zum Zeichen seiner Ergebenheit und sagte mit lauter Stimme: „Wir haben alles erörtert, und als ich um die Stimmen der Männer gebeten habe, hat niemand gegen unseren Beschluß gestimmt. Doch was ist mit den Bediensteten des Tempels, Handwerker, Schreiber oder anderen Diener?“
„Ich denke, es wäre falsch, sie mit in unsere Pläne einzubeziehen“, antwortete Nubra. „Sie sind keine Priester und lieben damit Osiris auch nicht mit der vollsten Inbrunst, wie wir es tun. Sie können in jedem anderen Heiligtum wieder eine Anstellung finden. Nur auf uns Priester ist wirklich Verlaß, wenn wir erst einmal einen einheitlichen Beschluß gefaßt haben, und mit fast zwanzig Männern sind wir sowieso schon sehr viele Mitwisser. Für unsere Pläne wäre es ratsam, so wenige Personen wie möglich einzuweihen. Um unsere beiden hochverehrten Schreiber tut es mir leid, das muß ich gestehen, denn ich würde ihnen wie euch vertrauen. Doch irgendwo muß eine Grenze sein.“
Hemneb nickte mit dem Kopf. „Ich verstehe. Ich denke, wir können deine Gedanken nachvollziehen und stimmen mit dir überein.“
Nubra lächelte. „Euer Ergebnis, Hemneb?“
Hemneb drehte sich zu den Priestern um und blickte in entschiedene Gesichter. Als er sich wieder Nubra zuwandte und ihm fest in die Augen sah, sprach er in einem fast befehlsartigen Ton: „Echnaton muß sterben!“
Echnaton muß sterben, sterben sterben... Es hallte immer wieder durch meinen Kopf. Wir waren Hochverräter, aber es war der einzige Weg. Wir mußten uns am lebendigen Horus vergehen, um die anderen Götter zu retten. Ja, der Pharao mußte sterben!
„Gut, dann werden wir in einer Stunde mit der Ausarbeitung unseres Plans beginnen“, erklärte Nubra. „Lang lebe Osiris!“
„Lang lebe Osiris!“ antworteten die anderen.
Als alle vom Boden aufstanden, um sich die Füße zu vertreten, rief Nubra zu mir: “Was ist mit dir, Ranofer?“
Ich blieb wie angewurzelt stehen. „Was soll mit mir sein, Herr?“
„Du warst heute Abend sehr still.“ Nubra blickte mich scharf und gütig zugleich an. Ich wußte seinen Blick nicht recht zu deuten.
„Verzeiht mir, Herr", gab ich zurück, "Ich bin zu verwirrt, um einen klaren Gedanken zu fassen, doch ich werde unserer Gemeinschaft dienen.“
„Gut, Ranofer, ich werde gespannt sein, welche Ideen du zu unserem Plan beitragen wirst.“

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